Der Förderverein Liberale Synagoge hat heute, Freitag (6.
November 2015), im Rahmen seiner Darmstädter
Aktions-Wochen gegen Antisemitismus 2015 die Heinrich Blumenthal-Gedenktafel am Rondell der Nordseite der Ev. Johanneskirche, auf dem Johannesplatz Darmstadt, Ecke Wilhelm Leuschner-/Alicenstr. Feierlich eingeweiht.
“Wir, vom Förderverein Liberale Synagoge, wollen mit unserer erinnerungskulturellen Arbeit an jene vergessenen Darmstädter Juden erinnern, die heute keiner mehr kennt“, sagte Martin Frenzel, Gründer und Vorsitzender des Fördervereins Liberale Synagoge in seiner Rede. Heinrich Blumenthal (1824 – 1901) sei Visionär, Stadtteilgründer von Rang, Stadtpolitiker mit Weitblick und Pionier der Industriellen Revolution gewesen. Heinrich Blumenthal gilt als Gründer des
Darmstädter Johannesviertels, das früher Blumenthalviertel hieß und in den 1870er Jahren entstand. Erst 1893/94 – mit dem Bau der Johanneskirche – erhielt das damalige Blumenthalviertel den neuen Namen Johann esviertel. Martin Frenzel (FLS) wörtlich: „Heinrich Blumenthal war einer der drei Lichtgestalten des Darmstädter Reformjudentums in der Zeit des wilheminischen Kaiserreichs – neben Rabbi Julius Landsberger und Otto
Wolfskehl.“ Er erinnerte auch daran, dass der Antisemitismus keineswegs 1933 vom Himmel gefallen sei. „Der Antisemitismus kam nicht erst mit den Nazis – es gab ihn schon im Kaiserreich und auch schon lange vorher. verschwand nicht mit den Nazis – es gibt ihn immer noch und mehr denn je. 30 Prozent der
deutschen seien neuesten Studien zufolge antisemitisch und rechtsextrem eingestellt. 30 Prozent –nach Auschwitz – das sind 30 Prozent zu viel.“ Der Antisemitismus sei aber nicht zuletzt durch die allgemeine Denunziantengesellschaft möglich gewesen und 1933 keineswegs vom Himmel gefallen – zahlreiche Mitglieder der christlichen Mehrheitsgesellschaft hätten angeschwärzt, verleumdet und Rufmord begangen.
Oberbürgermeister Jochen Partsch würdigte die Persönlichkeit Blumenthals und dankte dem Förderverein Liberale Synagoge ausdrücklich für seine Initiative, eine Gedenktafel für Heinrich Blumenthal in dessen eigenem Stadtviertel aufzustellen. Er erinnerte auch daran, dass viele Deutsche
und Darmstädter jüdischen Glaubens trotz großer Verdienste ums Gemeinwohl dennoch Opfer von Verfolgung und Vernichtung geworden seien. Deren "Wohlverhalten" (Partsch) habe ihnen am Ende nichts genützt. Er schlug den Bogen bis zur Gegenwart und sagte, die „Feinde der Freiheit“ säßen nicht in den Flüchtlingssammelstellen, sondern die „Feinde der Freiheit und der Demokratie“ stünden demonstrierend davor.
Der Pfarrer der Evangelischen Johannesgemeinde, Pfarrer Dr. Gerhard Schnitzspahn, gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass das Rondell auf dem Platz, an dem jetzt die Heinrich Blumenthal-Gedenktafel steht, künftig ein „Ort des Erinnerns“ werde.
Schnitzspahn schlug vor, man könne dem Rondell ja in Zukunft den Namen Heinrich Blumenthal-Rondell geben.
Zukunft braucht Erinnerung: Der Visionär, Stadtplaner, Stadtpolitiker und Gründer des Blumenthal- und heutigen Johannesviertels, Heinrich Blumenthal (1824 – 1901). Blumenthal, von Hause aus Maschinenbaufabrikant, war auch erster Gemeindevorsteher der Liberalen Jüdischen Reform-Gemeinde Darmstadts und – neben Rabbi Dr. Julius
Landsberger und Otto Wolfskehl – einer der drei maßgeblichen Motoren beim Bau der Liberalen Synagoge von 1876. Das gründerzeitliche Palais „Louvre“ gegenüber der Nordseite der Johanneskirche und vis-à-vis vom Standort der künftigen
Gedenktafel war ebenfalls von Heinrich Blumenthal errichtet
worden. Er und andere prominente Darmstädter Honoratioren wie Oberbürgermeister Albrecht Ohly wohnten selbst darin.
Der Förderverein Liberale Synagoge hatte die Idee, den heute vergessenen Darmstädter jüdischen Glaubens zu ehren, und daher die FLS-Benefizspendenkampagne „Darmstadt braucht eine Heinrich Blumenthal-Gedenktafel auf dem Johannesplatz!“ bereits im November 2014 gestartet – und seither Spenden aus der Bürgerschaft und von Institutionen in Höhe von ca. 2.500 Euro gesammelt.
Darmstadts Queen of Klezmer, Irith Gabriely spielte zur Einweihung auf ihrer Klarinette Musik – „Harlem Nocturne“ (des
Komponisten Earle Hagen), „I will Survive“ (von der Hermes House Band) und „Fly the to the moon“ (von Bart Howard) – und erhielt dafür viel Applaus…
Der FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE will in Sachen Heinrich
Blumenthal weiter recherchieren – und künftig auch ehrenamtliche Führungen zum neuen Heinrich Blumenthal-Rondell auf den Johannesplatz anbieten. Zudem werde man
weiter in Sachen Heinrich Blumenthal recherchieren, so der FLs-Tenor. Nächstes Projekt des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE: Die jetzt neu gestartete Kampagne „Darmstadt braucht einen Karl Heß-Platz mit Gedenktafel November 2016“. Damit wolle man den heute vergessenen, deutsch-jüdischen Präsidenten des SV Darmstadt 98, Dr. Karl Heß ehren.
Heinrich Blumenthal (Bildmitte)
Aus: Frenzel, Martin: Eine Zierde unserer Stadt. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Liberalen Synagoge Darmstadt e.V.
Der FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE DARMSTADT e.V. - gemeinnütziger und aktiver Verein für Erinnerungskultur in Darmstadt - sammelt ab sofort (November 2014) SPENDEN für eine HOMMAGE an
HEINRICH BLUMENTHAL - eine Gedenktafel des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE DARMSTADT e.V. zu Ehren dieses bedeutenden, heute weitgehend VERGESSENEN Darmstädter Bürgers jüdischen
Glaubens.
Hier können Sie Spenden:
Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt e.V.
Volksbank Darmstadt - Südhessen
IBAN: DE92 5089 0000 0006 3729 02
BIC: GENODEF1VBD
(Darmstadt)
Stichwort: FLS-Gedenktafel Heinrich Blumenthal 2015
Die Heinrich Blumenthal-Gedenktafel des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE soll im Herbst 2015 (November 2015) im Johannesviertel am Johannesplatz eingeweiht werden.
Der Darmstädter Maschinenbaufabrikant, Stadtplaner und Politiker HEINRICH BLUMENTHAL (* 12. Mai 1824 - 27. März 1901) führte in den 1860er Jahren auf dem Gelände der
heutigen Bismarck- und Landwehrstr. einen der größten Industriebetriebe der Stadt.
Blumenthal war es auch, der bei Verwirklichung des Baus der großen LIBERALEN SYNAGOGE vom Februar 1876 - neben Rabbi Dr. Julius Landesberger und Otto Wolfskehl - eine Schlüsselrolle
spielte.
Nicht minder bedeutsam war Blumenthals Wirken als Stadtplaner und Kommunalpolitiker. 1871 - im Jahr der Bismarckschen Reichseinheitsgründung - wurde er zudem Mitglied der Darmstädter
Stadtverordnetenversammlung - für die Nationalliberale Partei.
Noch im gleichen Jahr - 1871 - erhielt sein damals bahnbrechend revolutionärer Plan "über die Erweiterung der Stadt Darmstadt nach der Nord-Weste" die Zustimmung des Darmstädter
Stadtparlaments. Es war Großherzog Ludwig III, der grünes Licht gab für die Verwirklichung des völlig neuen Stadtviertels nach Nordwestens - so erhielt zum ersten Mal eine private
Kapital-Gesellschaft Vollmacht, aktive Stadtentwicklung für Darmstadt zu betreiben.
Träger des umfassenden Stadtentwicklungsprojekts war Blumenthals Terrain-und Baugesellschaft Blumenthal & Cie. Das dort entstehende BLUMENTHAL-VIERTEL, nach seinem Schöpfer Heinrich
BLUMENTHAL benannt, wurde von 1893/94 - also noch zu Kaisers und Großherzogs Zeiten - in JOHANNESVIERTEL umbenannt. Grund: Die Fertigstellung der maßgeblich durch Spenden des deutschen Juden und
Darmstädter Wohltäters Otto Wolfskehls (1841 - 1907) und dessen zweite Frau Lilli Wolfskehl vollendeten Evangelischen JOHANNESKIRCHE.
Die Nazis merzten den Namen des Mannes, dem Darmstadt soviel zu verdanken hat, aus, nannte die Straße fortan Taunusring, die bis dahin so heißende Blumenthalstraße ist heute seit 1953 ein Abschnitt der Kasinostraße.
Am 23. Februar 1876 gelang Heinrich Blumenthal als Gemeindevorsteher die Einweihung der 24 Meter hohen "Zierde unserer Stadt", der Liberalen Synagoge Darmstadt an der damaligen
Fuchsstr./Friedrichstr. Der eindrucksvolle Sakralbau überragte die Dächer der Hauptstadt Darmstadt. Der Großherzogliche Stadtbaumeister Köhler hatte anlässlich der feierlichen Einweihung den
Schlüssel zur Heiligen Lade der Thora symbolisch an ihn, Heinrich Blumenthal, den Gemeindevorsteher der Liberalen-Reform-Gemeinde - damals wie überall im Deutschen Kaiserreich die übergroße
Mehrheit der Menschen jüdischen Glaubens - übergeben.
Der Oberbürgermeister der Kaiserreichszeit, Adolf Morneweg, lobte Heinrich Blumenthals Lebenswerk - als Planer der Darmstädter Nordweststadt - zu dessen Tod am 27. März des Jahres
1901: So habe die Darmstädter Stadtverordnetenversammlung dank Blumenthals "weitschauendem Auge, der großen Erfahrung und dem Ideenreichtum" profitiert.
Heinrich Blumenthals Nachkommen Bernhard und Margarethe Blumenthal waren ebenfalls Mitglieder der damaligen Liberalen Jüdischen Gemeinde Darmstadt.
Heinrich Blumenthal (1824-1901) war Sohn des jüdischen Kaufmanns Bernhard Blumenthal, der seit 1821 einen Laden für Textilien am Ludwigsplatz in Darmstadt führte. Heinrich Blumenthal nannte sich
in jenen Jahren einen „Mechanicus“ und richtete sich 1846 im väterlichen Haus eine Werkstatt ein, die er 1857 zusammen mit seinem Bruder Siegmund als Fabrik ausbaute. 1860 nannten sich die Brüder
bereits „Maschinenfabrikanten“, 1862/63 verlegten sie Wohn- und Produktionsstätte an die Promenaden- (später: Bismarck)straße, 1864 wurde am Landwehrweg eine Maschinenhalle erbaut. Bis in die
1890er Jahre war die Blumenthal‘sche Maschinenfabrik einer der größeren Industriebetriebe Darmstadts, der offenbar vor allem „Lokomobile“ herstellte, also fahrbare Dampfmaschinen, die z. B. in
der Landwirtschaft zum Dreschen eingesetzt wurden. Blumenthal beantragte um 1850 auch eine Maschinendampffabrik - und war somit in gewisser Weise ein Darmstädter Pionier der Industriellen
Revolution des 19. Jahrhunderts.
Die Blumenthalsche Gründungsgesellschaft für den Darmstädter Nordwesten und das heutige Johannesviertel prägte zahlreiche Bauten wie die städtische Mädchenschule (die heutige Goetheschule), die
Eleonoren und Oberreal (heutige Liebig-)Schule, aber auch der Bau des „Louvre“ im klassizistischen Gründerzeit-Stil prägten das Gesicht des Blumenthalviertels. Das Louvre gehörte zu den
wenigen Häuser, die durch die Gesellschaft selbst errichtet wurden. Hier zogen der damalige Großherzogliche Oberbürgermeister Albrecht Ohly und der Fabrikant Blumenthal höchstpersönlich selbst
ein.
Blumenthal erlebte zum Ende seines Lebens noch, wie der Traum von der deutsch-jüdischen Emanzipation zusehends zerstob: In Darmstadt wählten damals, 1898, erschreckende 23,5% der
Darmstädter Bürger einen antisemitischen Abgeordneten in den Reichstag. Das in Darmstadt erscheinende antisemitische Hetzblatt „Hessische Reform“ (1894-1904) propagierte gar die
„Aufhebung der Juden-Emanzipation“.
In Darmstadt-Kranichstein gibt es heute wieder - weit abgelegen vom einstigen Zentrum der Stadt - eine Blumenthalstraße.