Auf Initiative des Fördervereins Liberale Synagoge fand am 8. November 2013 die offizielle Einweihung der beiden Julius-Landsberger-Gedenktafeln auf dem Julius Landsberger-Platz (Klinikumsgelände) statt. Es waren über 100 Menschen zu dieser besonderen Gedenkveranstaltung gekommen, darunter etliche ehemalige, von den Nazis gewaltsam aus ihrer Heimat vertriebene jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Der Verein hatte zuvor zwei Jahre lang im Rahmen seiner Benefizkampagne „Darmstadt braucht eine Julius-Landsberger-Gedenktafel“ die beiden Gedenktafeln konzipiert und für sie rund 6.000 Euro an Spenden aus der Bürgerschaft, von Stiftungen und Unternehmen gesammelt. Martin Frenzel, Gründer und Vorsitzender des Fördervereins Liberale Synagoge, der bereits 2011 die Idee zu dieser zweifachen „Hommage an einen vergessenen Rabbiner“ hatte, erinnerte als Initiator beiden Gedenktafeln in seiner Ansprache an jenes vernichtete liberale Reformjudentum, das bis 1933 die Mehrheit auch in Darmstadt bildete und durch den Holocaust „unwiederbringlich verlorengegangen“ sei. Landsberger sei als charismatischer, kenntnisreicher Thora-Gelehrter und Orientalist heute Sinnbild für Weltoffenheit, Toleranz und Klugheit. Frenzel sagte, es gehe dem Förderverein Liberale Synagoge mit den beiden Aluminium-Gedenktafeln um ein „sichtbares, zweifaches Zeichen für Demokratie und Toleranz“.
1938 – das sei die Verfolgung von Deutschen jüdischen Glaubens durch Deutsche christlichen Glaubens gewesen. „Diese Menschen waren deutsche Staatsbürger“, so Martin Frenzel über die Opfer. Der Antisemitismus sei leider keineswegs passé, im Gegenteil: Die Antisemitismus-Studie der Bundesregierung habe alarmierende Zahlen zutage gefördert. Jeder fünfte Deutsche gelte demnach zumindest als latent judenfeindlich. „Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ – dies sei, so der Vorsitzende des Fördervereins Liberale Synagoge weiter, die zentrale Lehre der „Katastrophe vor der Katastrophe 1938“, als Darmstadts Synagogen brannten und „das Leben der jüdischen Darmstädterinnen und Darmstädter zerbrach“. Er kündigte eine neue Benefizaktion seines Vereins an: So werde man ab sofort Spenden für eine neue Otto Wolfskehl-Gedenktafel fürs Frühjahr 2014 zu Ehren des großen deutsch-jüdischen Darmstädters (1841 – 1907) und seiner Familie sammeln – „denn eine solche Hinweistafel fehlt bislang völlig im Wolfskehlschen Garten“.
Martin Frenzel dankte an allen Spendern – nicht zuletzt vielen Darmstädter Bürgerinnen und Bürgerinnen, die beide Gedenktafeln ermöglicht hätten. Der Förderverein Liberale Synagoge wolle mit seiner Hommage an den vergessenen Großherzoglichen Rabbiner Dr. Julius Landsberger einen Beitrag leisten zum kulturellen, kollektiven Gedächtnis der Stadt. Und er zitierte Richard von Weizsäcker: „Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“ Das Kunstwerk Roeses zeigt den in 16 Teilen zerquaderten Kopf des Rabbis Landsbergers. Die zweite Gedenktafel „Zukunft braucht Erinnerung“ präsentiert seine Vita (1819-1890), ein Porträt-Litho und ein Foto „seiner“ Liberalen Synagoge von 1876. Der Darmstädter Bildhauer Gerhard Roese (51) übergab Moritz Neumann zudem ein kostbares Landsberger-Buch aus dem Jahre 1874. Zum Schluss spielte Irith Gabriely das Klezmer-Stück "Adon Olam" („Herr der Welt“). Es dient regelmäßig als ein heiteres Schluss-Gebet für jeden Sabbat Gottesdienst.
Aus: DARMSTÄDTER TAGBLATT vom 14.November 2014
Auf Initiative unseres Fördervereins Liberale Synagoge und nach einer Idee von Martin Frenzel wurde am 73. Jahrestag der Reichspogromnacht, am 9.November 2011, der JULIUS-LANDSBERGER-PLATZ von Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch (GRÜNE) eingeweiht. Der Platz unweit der städtischen Gedenkstätte Liberale Synagoge Darmstadt auf dem Klinikumsgelände erinnert an den weltoffenen Rabbiner und Orientalisten Dr. Julius Landsberger (1819-1890), der eine fast 30jährige als Großherzoglich-Hessische Landesrabbiner prägte und als „Lichtgestalt des liberalen Reformjudentums“ galt, wie Martin Frenzel, der Vorsitzende des Fördervereins Liberale Synagoge Darmstadt bei der Eröffnung in seiner Rede sagte.
Bürgerinnen und Bürger konnten für unsere im Juni 2012 gestartete SPENDENAKTION "DARMSTADT Braucht eine Julius-Landsberger-Gedenktafel 2013" spenden. Ziel war es, spätestens bis 9. November 2013, dem 75. Jahrestag der Reichspogromnacht (als auch in Darmstadt die jüdischen Gotteshäuser brannten und von den Nazis zerstört wurden) eine Erinnerungstafel am neuen Julius-Landsberger-Platz zu platzieren, die an den großen Rabbiner und weltoffenen Orientalisten erinnern soll. Im Blickpunkt der Tafelen werde Landsbergers Maxime, das Jesaja-Wort "Dieses Gebetshaus möge offen sein für alle Völker" stehen. Ein Dictum, das auch überm Eingangsportal der Liberalen Synagoge Friedrichstraße stand.
Exakt 11.45 Uhr: Oberbürgermeister Jochen Partsch zieht an der Schnur und die Umhüllung fürs neue Schild fällt herab. Das kleine Plätzchen, umgeben von streng funktionalen oder vollkommen gesichtslosen Bauten des Klinikums Darmstadt, heißt nun nach Julius Landsberger (1819-1890). „Erster Rabbiner der Liberalen Synagoge Darmstadt, Landesrabbiner der Provinz Starkenburg, Orientalist“ erklärt ein Zusatzschildchen.
„Am 9. November vor 73 Jahren brannten in ganz Deutschland die Synagogen“, begann Partsch seine Worte zur offiziellen Einweihung und Benennung des von jungen Platanen und Ruhebänken strukturierten Plätzchens. Die Liberale Synagoge stand bis 1938 in direkter Nachbarschaft des Landsberger-Platzes, galt durch ihre Gestalt und Ästhetik einst als „Zierde unserer Stadt“, wie Partsch Landsberger zitierte.
Der OB lobte zweierlei. Zunächst den „sehr klugen und schnellen Entschluss“ des damaligen OB Peter Benz, die bei Erdarbeiten für einen Klinikneubau entdeckten Fundamente der Liberalen Synagoge sofort zu sichern und die Bauarbeiten zunächst zu stoppen. Nur so sei der heutige Gedenkort für die Synagoge möglich geworden, so Partsch, „der nicht nur einer der jüdischen Gemeinde ist, sondern ein Gedenkort für die gesamte Stadt“.
Zum Zweiten lobte Partsch den Einsatz des Fördervereins Liberale Synagoge Darmstadt. Nicht zuletzt ihr Vorsitzender Martin Frenzel habe auch die Benennung des Landsberger-Platzes „trotz aller Irrungen und Wirrungen des Projektes“ erfolgreich initiiert und durchgesetzt. Erinnerungsarbeit habe große Tradition in Darmstadt, „sie muss aber auch Zukunft haben“. Er wünsche sich, so Partsch, dass vor allem mehr Schulklassen als bisher den Gedenkort samt Landsberger-Platz für die historische Bildung nutzten.
Sind Sie Jude?, das werde er immer wieder gefragt, begann dann Martin Frenzel seine Ausführungen. Nein, sei er nicht. Wichtig sei ihm das „stadtpolitische Zeichen gegen das Vergessen“, und stolz sei er, dass knapp ein Jahr nach der ersten Forderung, doch einen Landsberger-Platz zu schaffen, diese Idee Wirklichkeit sei. „Erinnerungsarbeit ist keine Sache von Sonntagsreden, sondern eine tägliche Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe“, so Frenzel.
Landsberger nannte er die „Lichtgestalt des liberalen Darmstädter Reformjudentums“ (mehr auf dieser Seite). Der Förderverein hat seine Arbeit am Landsberger Platz auch noch keinesfalls eingestellt. Der Verein sammle zurzeit für eine Bronzetafel, die zu Ehren des Rabbiners auf dem Platz installiert werden solle.
Moritz Neumann von der Jüdischen Gemeinde nannte die Namensgebung schlicht und klar ein „Bekenntnis“. Es sei das erste Mal in dieser Stadt, dass ein Stück von ihr nach einem Rabbiner benannt werde – nach all der Ehrerbietung gegenüber Politikern, Künstlern und Militärs. Womit er bei seinem Stichwort war: einer kleinen kritischen Anmerkung zur Arbeit der Straßenbenennungskommission.
Wünschenswert wäre gewesen, so Neumann, bedenkliche Benennungen im öffentlichen Raum zu verändern. Da gebe es zum Beispiel die Hindenburgstraße. Immer noch. Die Straße – benannt nach dem Generalfeldmarschall im 1. Weltkrieg, späteren Reichspräsidenten und greisen Steigbügelhalter für den Reichskanzler Hitler –, die gebe es immer noch. „Sie hat allen Versuchen einer Demokratisierung widerstanden.“
Den Julius Landsberger-Platz zu finden, gehört künftig definitiv nicht zu den leichten Übungen in Darmstadt. Würde es statt einer Hindenburg- an gleicher Stelle nun eine Landsberger Straße geben, hätte dies tatsächlich, sowohl symbolisch wie faktisch, ein ganz anderes Gewicht.
Infobox:
10. November 2011 | paul |
Julius Landsberger (1819-1890), der Humanist
Der erste Rabbiner der Liberalen Synagoge Darmstadt hatte sein Amt fast dreißig Jahre inne, von 1859 bis 1888. Geboren wurde er 1819 in Zülz in Oberschlesien. Das Abitur machte er in Breslau, danach Studium der Orientalistik und der arabischen Sprachen erst in Breslau, dann in Berlin. Ab 1849 Rabbiner und Religionslehrer in Brieg, Schlesien, 1859 Berufung nach Darmstadt.
Der zu Lebzeiten hoch renommierte Thora-Gelehrte, Orientalist, Humanist und Autor sorgte dafür, dass über dem Eingangstor `seiner` Liberalen Synagoge in Darmstadt ein Spruch des Propheten Jesaja angebracht wurde: „Dieses Haus möge offen sein für alle Völker“.
Landsberger starb am 3. März 1890 in Berlin, sein Grab ist auf dem jüdischen Friedhof in Darmstadt. Auf seinem Grabstein steht sein Titel: „Großherzöglich Hessischer Landesrabbiner“.
Aus: DARMSTÄDTER ECHO 10. November 2011, Lokalteil, S. 13 (Darmstadt-Seite) / Artikel von Paul-Hermann GRUNER
h.r. DARMSTADT. Die Stadt hat gestern den Tag der Erinnerung an die Pogrome der Nationalsozialisten im November 1938 zum Anlass einer Namensbenennung genommen. Oberbürgermeister Jochen Partsch (Die Grünen) enthüllte zusammen mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Darmstadts, Moritz Neumann, und dem Vorsitzenden des Fördervereins Liberale Synagoge, Martin Frenzel, ein Schild mit der Aufschrift "Julius-Landsberger-Platz". Der Gelehrte und Orientalist war der erste Rabbiner der vor 135 Jahren eingeweihten Liberalen Synagoge der Stadt und von 1859 bis 1888 auch Landesrabbiner der Provinz Starkenburg. Landsberger starb 1890.
Der nach ihm benannte Platz befindet sich unweit der vor zwei Jahren eröffneten Gedenkstätte "Erinnerungsort Liberale Synagoge", die auf jenen Fundamentresten errichtet wurde, die vor Jahren bei Neubauten auf dem Gelände der städtischen Kliniken entdeckt worden waren. Sie sind das Einzige, was von der Brandnacht 1938, in der auch die Orthodoxe Synagoge zerstört wurde, übrig geblieben ist. Partsch sagte, die Gedenkstätte wie der Landsberger-Platz seien Orte der Erinnerung für alle Darmstädter, die deutlich machten, dass die Stadt "Erinnerungsarbeit" als eine Aufgabe der Gegenwart und Zukunft betrachte. Er sei froh, dass der Beirat für Straßenbenennung Frenzels Vorschlag gefolgt sei, einen Platz nach Landsberger zu benennen, der eine "charismatische und weltoffene Persönlichkeit" gewesen sei. Neumann erinnerte daran, dass schon Partsch Vorgänger im Amt, Walter Hoffmann (SPD), vor einem Jahr die Absicht bekundet habe, eine Straße nach dem liberalen Rabbiner zu benennen.
Er habe Hoffmann daraufhin vorgeschlagen, die Hindenburgstraße in Landsberger-Straße umzubenennen. Diese Idee habe aber "allen Versuchen der Demokratisierung" widerstanden. Das erzielte Ergebnis sei typisch für die Stadt: Einerseits bleibe alles beim Alten, andererseits komme mit dem Landsberger-Platz nun etwas Neues hinzu. "Das ist zwar nicht sehr gut, aber es ist immerhin gut", sagte Neumann.
Frenzel nannte es erstaunlich, dass Julius Landsberger in Darmstadt so lange in Vergessenheit geraten sei. Zu Lebzeiten sei er ein bekannter Orientalist gewesen, als glänzender Kanzel-Redner, Talmud-Gelehrter und Goethe-Kenner geschätzt und von vielen überdies bewundert worden für seine Weltoffenheit. Charakteristisch für seine Haltung sei das von ihm gewählte Jesaja-Wort gewesen, das über dem Eingangsportal der Liberalen Synagoge gestanden habe: "Dieses Haus möge offen sein für alle Völker". In Anspielung auf das "Offene Haus" der Evangelischen Kirche in Darmstadt sagte Frenzel, mit der Liberalen Synagoge habe es schon vor 135 Jahren ein solches "offenes Haus" gegeben. Durch sein Wirken habe Landsberger das jüdische Leben in Südhessen über 30 Jahre geprägt und dazu beigetragen, dass Darmstadt bis zur Machtübernahme der Nazis als ein Zentrum des liberalen Reformjudentums gegolten habe.
Der Förderverein Liberale Synagoge hat gestern eine Spendenkampagne gestartet, aus deren Erlös er die Anschaffung einer Bronzetafel finanzieren will, die zusätzlich zum Straßenschild auf den Landsberger-Platz hinweisen soll. Außerdem hat Frenzel die Bürger der Stadt aufgerufen, eventuell noch vorhandenes historisches Bildmaterial, das die Zerstörung des jüdischen Gotteshauses 1938 dokumentiert, zur Verfügung zu stellen. Am Nachmittag versammelten sich wie jedes Jahr am 9. November Vertreter der Politik und des gesellschaftlichen Lebens auch in der neuen Synagoge an der Glässing-Straße, um der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken.
Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2011, Nr. 262, S. 55
Das SAT-1 Landesmagazin "17.30" sendete ff. Beitrag über die Einweihung des JULIUS-LANDSBERGER-PLATZES in Darmstadt: Den Fernsehbeitrag können Sie unter ff. Link sehen:
Sendefertig geschnittener Mitschnitt der Einweihung des Julius-Landsberger-Platzes vor dem Gedenkort Liberale Synagoge am 9.11.2011 in Darmstadt. Julius Landsberger war zwischen 1859 und 1888 Landesrabbiner in Darmstadt.
Hören Sie die drei Reden hier: