Er spielte die Orgel der Liberalen Synagoge Darmstadt

Zwischen Darmstadt und England-Exil: Die zwei Leben des Organisten der  Liberalen Synagoge, großen Musikers, Dirigenten, Komponisten und gebürtigen Heiners Siegfried May (1880-1952)

Siegfried May

*14. März 1880 in Darmstadt, † 6. April 1952 (?) im englischen Exil in West Midlands – Wolverhampton-Bilston

 

 

 

 

Zwischen Darmstadt und England-Exil: Die zwei Leben des Komponisten, Dirigenten und Liberale Synagoge-Organisten Siegfried May (1880 - 1952)

 

 

Siegfried May kam am 14. März 1880 in Darmstadt als Sohn von Sigmund und Babette (geb. Vogel) May zur Welt.

Er dirigierte das Orchester des Staatstheaters Darmstadt zu Zeiten des legendären Intendanten Gustav Hartung, der den Ruf der Darmstädter Bühne in ganz Deutschland mehrte. May schrieb zahlreiche Musikstücke, darunter in ganz Deutschland Furore machende Opern, Konzerte sowie Tango- und Schlagerlieder. 1933 ließ er eine Singkomödie zur Aufführung am Theater Darmstadt annehmen, das als Aufführungsort für Berliner Aufführungen diente. 1938 wurde Siegfried May in der Nacht der Reichspogromnacht verhaftet und ins Todes- und Quäl-Lager KZ Buchenwald verschleppt.

Anfang 1939 wurde er aus dem Todeslager entlassen und floh - aus seiner deutschen Heimat gewaltsam von den Nazis vertrieben -  im Juni desselben Jahres mit seiner Familie in sein rettendes England-Exil.

Während des Zweiten Kriegs gab er Konzerte für das Britische Rote Kreuz und zwei seiner Kompositionen – „Adagio for Strings“ und „Children’s Parade“ – wurden häufig von der BBC gespielt.

 

May war ein Freund von Richard Tauber, Paul Linke, Erich Kleiber und Franz Lehar. 1945 war er Begleiter bei der Produktion von Lehars „Gypsy Love“ der Bilston Operatic Company. Gelegentlich dirigierte er auch das Bilston Orchestra.

  

Siegfried Mays Engagement beim Bilston Orchestra als Flüchtling in England. Der Artikel stammt aus der Zeitung Wolverhampton Chronicle, Freitag, 30. März 1951, S. 5.

 

Seine in San Francisco USA lebende Enkelin Karen Fiss besitzt keine Dokumentation über Siegfried Mays Jugendzeit. Sie wissen, dass er als ein junges musikalisches Wunderkind galt, bei einem Schüler von Liszt studierte. Gerda erzählte ihnen von seinen Auftritten als kleiner Junge und seiner Einladung nach Russland.

Siegfried May trat für Erzherzog Franz Ferdinand auf, als dieser durch Darmstadt reiste, und wurde auch zu einem Musikstudium in Russland eingeladen. Siegfrieds Eltern verboten es und er blieb in Deutschland. Vermutlich hing die Einladung damit zusammen, dass die Schwester des Großherzogs Ernst Ludwig, Alexandra (beide wuchsen in Darmstadt), Zar Nikolaus II. heiratete. Gerda erzählte ihren Kindern, dass Siegfried May für sie aufgetreten sei.

 

Siegfried May ehelichte Anna Haas am 29. April  des Jahres 1920, ein Jahr nach der Novemberrevolution.

Anna war eine Malerin, die in Deutschland ausstellte. Sie studierte bei dem Maler Maurice Utrillo in Paris, musste jedoch bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus Paris nach Deutschland zurückkehren. Für ihre künstlerische Tätigkeit kehrte sie mehrmals nach Paris zurück.

 

Siegfried May besaß nach großherzoglicher Ernennung in Darmstadt ein Textilunternehmen namens Strauss & Mayer, das feine Stoffe importierte. Das Geschäft war seine Art, seine Familie zu ernähren.

 

 

In seiner Freizeit widmete Siegfried May die meiste Zeit seiner Klavierkomposition, begleitete oft andere Musiker und gab Musikunterricht. Er rauchte Pfeife, hegte die Gewohnheit, seine Partituren überallhin mit sich zu tragen.

In Darmstadt führten Siegfried und Anna May das Leben einer assimilierten deutsch-jüdischen Familie.

Obwohl Siegfried May in einem religiösen Elternhaus aufwuchs, betrachtete er sich selbst als weltlich, erwies aber seinen Respekt, indem er einige religiöse Riten einhielt und in der Synagoge Orgel spielte.

 

In Helga Kellers Memoiren "Farbig in Moll", der May-Tochter, heißt es: „Darmstadt war stolz darauf, die Heimat vieler kultureller Aktivitäten zu sein, und meine Eltern waren Teil dieser Szene. Ich wuchs in einer Umgebung auf, in der das Musizieren und das Künstlerische Tun ein natürlicher Teil des Alltags waren.“

Und weiter: "Die Wände unseres Hauses hingen voller impressionistischer Gemälde meiner Mutter. Niemand machte Theorien über Kunst, aber mein Vater erzählte uns ein wenig über das Leben großer Komponisten und Utrillo und Cezanne waren ein Begriff.“ [aus: Helga Keller, Farbig in Moll. Darmstadt-Berlin 1933-1939. Darmstadt: Eduard Roether Verlag, 1996].

 

Siegfried May hatte eine Schwester namens Bertha May-Wurzinger (*1870), die früh verwitwet war und mit der Familie in Darmstadt lebte. Sie leitete das Haus und war für die Feier jüdischer Feiertage usw. verantwortlich. Sie war sehr musikalisch und liebte die Oper. Sie kannte die Musik, den Inhalt und die Texte jeder Oper, brachte den Kindern Gerda und Helga bei, sich ebenfalls für die Oper zu begeistern. Bertha wurde deportiert und starb 1942 im Todeslager KZ  Theresienstadt bei Prag (ihrem Bruder Siegfried May gelang es trotz intensiver Bemühungen nicht, ihr ein rettendes  Visum zu besorgen).

 

Siegfried Mays andere Schwester, Frida, hingegen wurde ins Todes- und Sammel-Lager Gurs in Frankreich deportiert, überlebte aber den Zweiten Weltkrieg und floh ebenfalls in England. Fridas Mann und Sohn kamen beide in Vernichtungslagern der Nazis ums Leben.

 

Anna May wandte sich an einen Freund aus Kindertagen aus einem entfernten, nicht-jüdischen Teil unserer Familie in Großbritannien, besorgte mit finanzieller Hilfe eines anderen nicht-jüdischen Freundes Transitvisa nach England für Anna und Helga.

Gerda, erhielt ein Visum für den Kindertransport gen England.

Siegfried wurde von einer Familie in London finanziell unterstützt, deren Sohn Gunnar Henriksson ein Student aus Schweden war und nach dem Beginn der Nazi-Diktatur bei ihrer Familie gelebt hatte.

Die Familie hatte aus finanziellen Gründen Pensionsgäste aufgenommen, nachdem das NS-Regime ihnen ihr Geschäft  geraubt hatte.

Helga und Gunnar blieben ein Leben lang Freunde und ihre Autobiografie basiert auf ihrer Freundschaft.

 

Nur sechs Wochen vor Kriegsausbruch reisten alle vier im Juni 1939 nach Großbritannien - drei Monate vor Beginn des deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen Polen 1939, der den Beginn des Zweiten Weltkriegs markierte.

Sie hatten kein Geld, bekamen aber ein einfaches Haus in einer Arbeitersiedlung ihrer Unterstützer in Bilston, außerhalb von Wolverhampton. Bilston ist eine Stadt in Wolverhampton in den West Midlands, etwa in der Mitte Englands gelegen, unweit der Nachbarregionen von  Sandwell und Walsall. Die nächstgelegenen Städte sind Darlaston, Wednesbury und Willenhall.

 

 

Laut Helga Keller, der einen Tochter Siegfried Mays, landeten sie „mitten im Black Country in einer unglaublich hässlichen Umgebung, unsere Fenster blickten auf das Gaswerk und eine Landschaft aus Kohlehalden.“

 

Siegfried wurde später - wegen der pauschalen Deutschen-Feindlichkeit in Großbritannien von 1940 an, als Nazi-Deutschland englische Städte bombardierte, auf der Isle-of-Man interniert, aber bald als „freundlicher Ausländer“ freigelassen.

Siegfried und Anna May blieben im englischen Exil-Ort Bilston, wo sie bis zu ihrem Lebensende blieben.

Siegfried May schrieb und musizierte weiter, Anna malte.

In Darmstadt und in England war Siegfried ein begeisterter Gärtner und hatte immer einen Kleingarten zu pflegen.

 

May hatte einen scharfen Sinn für Humor, war dem Darmstädter Dialekt sehr zugetan.

In England übersetzte die Darmstädter National-Komödie „Datterich“ von Ernst Elias Niebergall ins Englische, weil ihm seine Darmstädter Heimatkultur so sehr fehlte. Seine englische Übersetzung wurde bei der Datterich-Feier 2015 in Darmstadt anlässlich des 200. Geburtstags von Niebergall aufgeführt.

 

Siegfried May starb 1952 im Alter von nur 72 Jahren an Herzversagen im Exil - an gebrochenem Herzen gewissermaßen.

 

 

Die Siegfried May-Töchter Helga und Gerda verbrachten die Kriegsjahre im Londoner Exil London. Helga Keller zog schließlich 1957 als Filmemacherin nach Israel und Gerda zog nach New York City.

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OB Partsch überreicht den GESICHT ZEIGEN!-Preis an FLS-Vorsitzender Martin Frenzel Foto: Gabriele Claus
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