Nie wieder ist jetzt!-Demo auf dem Darmstädter Luisenplatz vom 11. Dezember 2023

Veranstalter: Initiative Nie wieder ist jetzt Darmstadt

Rede von Martin Frenzel, Vorsitzender und Gründer des FÖRDERVEREINS LIBERALE SYNAGOGE DARMSTADT e.V.

Wir dokumentieren den Wortlaut hier:

Meine sehr geehrten Damen und Herren,                                                                               wir haben uns hier heute Abend versammelt, um ein Zeichen gegen Antisemitismus, gegen Judenhass und gegen die antisemitische Gewalt zu setzen, ein Zeichen für die Solidarität mit Israel, auch und gerade nach dem Massaker des 7.Oktober. Und ein Zeichen für ein weltoffenes, liberales und geschichtsbewusstes Darmstadt.Wir gedenken heute der über 1.200 Opfer des Massenmords vom 7.Oktober, der unschuldigen Männer, Frauen und Kinder, die dem Terrorangriff der Hamas zum Opfer fielen, den Familien und Angehörigen gehört unser ganzes Mitgefühl und unsere ganze Empathie… Wir denken heute auch an die vielen Geißeln, darunter  kleine Kinder, die sich noch in den Händen der Terror-Schergen der Hamas. Wir tun dies in einer Zeit, in denen Jüdinnen und Juden das Jüdische Lichterfest Chanukka, ein Fest für die Freiheit und das Glück feiern. Licht ist wahrlich etwas, was wir in diesen dunklen Zeiten gut gebrauchen können…Es kann nicht sein, dass in Frankreich, in Paris und anderswo, in England, in London und anderswo Hundertausende gegen Antisemitismus auf die Straße gehen, während ausgerechnet hier, im Land der Täter, in Deutschland, nur eine Handvoll Leute gegen Judenhass und für Israel-Solidarität auf die Straße gehen.

Zukunft braucht Erinnerung: Das ist das Motto unseres Vereins, des Fördervereins Liberale Synagoge – und dieser Satz ist gerade heute aktueller denn je!Fritz Bauer, der Vater des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, hat es einmal so formuliert – und sein Wort ist immer noch aktuell: "Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden."Es geht darum zu begreifen, dass Antisemitismus uns alle angeht. Jede und jeden von uns betrifft.  Dass Judenhass immer auch Angriff auf uns alle darstellt. Einen Angriff bedeutet auf den Artikel 1 des GG, die Würde des Menschen ist unantastbar.Da steht nicht: der Deutschen, sondern aller Menschen!Ganz im Sinne von Igor Levit, der treffend gesagt hat:"Merkt ihr eigentlich nicht, dass es gegen euch geht?“  Oder anders gesagt: MERKT IHR DENN NICHT, DASS IHR DIE NÄCHSTEN SEID?“Nie war der Satz NIE WIEDER IST JETZT so aktuell wie heute.Von Jean-Paul Sartre stammen noch heute aktuelle, kluge Sätze:»Was der Antisemit wünscht und plant, ist der Tod des Juden«, schrieb Jean-Paul Sartre 1944.Der Antisemitismus ist kein jüdisches Problem, er ist unser Problem, so Sartre 1946.Und auch dieser Satz ist von Sartre: „Der Antisemitismus ist die Furcht vor dem Menschsein.“

Meine Damen und Herren,liebe Freundinnen und Freunde,Der Antisemitismus hat heute viele Gesichter. Wir erleben den nach wie vor weitaus stärksten den rechtsextextremen, aber auch islamistischen, den bürgerlichen, der bis tief in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht – und auch die Dr. meds und Dr. phils erfasst hat… und nicht zuletzt den linken Antisemitismus, bis hinein in Kreise der Internationalen Sektion von Fridays for Future…Lassen Sie es mich hier klipp und klar sagen: Wir dürfen den Antisemitismus, den Judenhass, in keinem Gewand dulden, die Devise muss lauten: Null Toleranz für Antisemitismus, ohne Ausnahme!Es gibt keinen ‚harmlosen‘ Antisemitismus!Wir, die Anhängerinnen und Anhänger der LIBERALEN DEMOKRATIE müssen jetzt aufstehen und NEIN sagen, ganz im Sinne Fritz Bauers:Nein zu Antisemitismus in jedweder FormNein zu Rechtsextremismus à la AFD, aber auch ein klares Nein zu Islamismus!Es kann nicht sein, dass Juden und Jüdinnen in Deutschland, hier in Darmstadt wieder Angst um Leib und Leben haben müssen. Dass jede dritte Jüdische Gemeinde bedroht und antisemitisch angefeindet wird, in diesem Land… dass sich Jüdinnen und Juden sich nicht mehr in bestimmte Stadtviertel trauen.Sich nicht mehr trauen, ihre Kinder in Kindergärten oder zur Schule zu bringen.Meine Damen und Herren, es ist etwas ins Rutschen gekommen, wenn laut aktuellen Studien über 30 % der Deutschen antisemitischen und national-autoritären Aussagen zustimmen, wenn über 40% der Verschwörungserzählung folgen, Juden hätten angeblich zu viel „Einfluss“.

Es kann auch nicht sein dass deutsche Juden und Jüdinnen in Haftung genommen werden für Geschehnisse in Nahost.Wohl aber gilt: Israel verdient, als einzige Demokratie des Nahen Ostens, umgeben von autoritären Regimen in der gesamten arabischen Welt und dem autoritären Regime in Iran…  und als Opfer des brutalen Terrorangriffs der Hamas, unsere uneingeschränkte Solidarität und Empathie.Die Hamas ist keine Befreiungsbewegung, sondern eine Terrormiliz.Die Devise muss lauten: Free Gaza  from Hamas! Meine Damen und Herren,NIE WIEDER IST JETZT verlangt ein geschichtsbewusstes und kein geschichtsvergessenes, wehrhaftes Darmstadt, eine wehrhafte Demokratie:Hannah Arendt hat einmal gesagt: Vor Antisemitismus ist man nur auf dem Monde sicher!Ich bin mir da nicht so sicher…  dank Werner von Braun kann man ja mit der Rakete zum Mond fliegen…Vor genau 100 Jahren, 1923, 10 Jahre vor der Nazi-Diktatur, ereignete sich in Berlin ein Judenpogrom…Der Antisemitismus war nie weg aus Deutschland….Umso mehr gilt: NIE WIEDER darf so etwas wie die Judenverfolgung und -vernichtung und Vertreibung darf NIE WIEDER in Deutschland geschehen, nirgendwo auf der Welt!

Dieses NIE WIEDER speist sich aus der Tatsache, dass DA eine braune Hochburg war. Dass in dieser Stadt, der Hauptstadt des Volksstaats Hessen, die Judenverfolgung besonders heftig, besonders brutal und rücksichtslos war… Dass diese Stadt hessenweit als Drehscheibe des Holocausts und der Deportationen diente… mit der Justus-Liebig-Schule als Sammellager…  dass von hier aus über 3.400 Menschen, Männer, Frauen, Kinder in die Todes- und Vernichtungslager des Ostens verschleppt wurden – nach Auschwitz-Birkenau, Theresienstadt, Buchenwald, Belzec, Sobibor, Treblinka, Majdanek… Und speist sich aus der Tatsache, dass schon zum Ende der Weimarer Republik hier in Darmstadt 50 % NSDAP wählten. Und dass dieses DA in der NS-Zeit stolz drauf war zu vermelden, man sei die erste „judenfreie Stadt“ im Reich….Es sei daran erinnert, dass dieser Luisenplatz, wo wir heute Abend stehen, in der NS-Zeit Adolf-Hitler-Platz hieß, auf dem Langen Ludwig wehte die Hakenkreuzflagge, dass sich hier hinter uns, im heutigen Regierungspräsidium, sich die Terrorzentrale, das NS-Innenministerium, befand…Und dass aus dieser Stadt furchtbare Spitzen-Nazis kamen, die blutige Geschichte schrieben: Ich nenne nur die Darmstädter SS-Täter Werner Best, den Gründer des KZs Osthofen, der Gestapo und Organisator der Massenmorde in Polen und der Deportationen in Frankreich, Karl Wolff, der Assistent Hitlers und Himmlers war, und Hans Stark, der im Vernichtungslager Tausende Menschen ermordete. Erich Kästner hat mal gesagt: „Man darf nicht warten bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Die NS-Diktatur hätte bis 1928 bekämpft werden müssen, 1933 war es zu spät.“Dieser Satz Erich Kästners ist heute aktueller denn je. Deswegen fordere ich hier und heute, endlich ein Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die AFD zu beantragen, bevor es zu spät ist.Und wir fordern ein Verbot aller Vorfeldorganisationen der islamistischen Terrorbewegung der HAMAS in Deutschland.

Meine Damen und Herren,Ich will hier heute Abend erinnern an vergessene Darmstädter Juden und Jüdinnen, die für unsere Stadt Großartiges geleisstet haben…Ich will erinnern an Rabbi Julius Landberger, den Thora-Gelehrten der Kaiserreichszeit, der hier eine 30jährige Ära prägte, im Geiste von Lessings Nathan der Weise Weltoffenheit und Toleranz bewiesIch will erinnern an Otto Wolfskehl, der Politiker und Mäzen im Kaiserreich war, und ohne dessen Weitblick Darmstadt heute nicht das wäre, was es heute ist: Eine Stadt mit Zukunft! Wolfskehl war Mitbegründer des BAUVEREINS für Arbeiterwohnungen, heute 12.000 Wohnungen, Mitbegründer der Südhessischen Gas- und Wasser-AG, der Keimzelle der heutigen HSE/Entega, und er war Retter der damals bankrotten Techn. Hochschule, der heutigen TUD, und damit des Wissenschaftsstandorts DA!Ich will erinnern an den Rabbi Bruno Italiener, den mutigen Kämpfer gegen Antisemitismus der Weimarer Republik, der 20 Jahre in Darmstadt wirkte und in ganz Deutschland bekannt warAuch erinnern an Professor Julius Goldstein, der ebenfalls von Darmstadt aus für die volle Gleichberechtigung der Deutschen jüdischen Glaubens kämpfte und am Ende selber Opfer des Judenhasses wurde, weil ihn die antisemitisch gesinnte TH-Leitung nicht zum Professor berufen wollte. Und dass nur, weil er Deutscher jüdischen Glaubens war!Ich will erinnern an die mutige Lehrerin Hertha Mansbacher, die in Worms 1938 die Thorarollen voller Zivilcourage aus der brennenden Wormser Synagoge rettete und in Belzec ermordet wurdeIch will aber auch an den Politiker, Schriftsteller und Widerstandskämpfer gegen die Nazis, an Carlo Mierendorff, erinnern,den mutigen Widerstandskämpfer und die rechte Hand und Vordenker Wilhelm Leuschners im letzten demokratischen Innenministerium, hier, hinter mir im Kollegiengebäude…Er kämpfte sein ganzes Leben gegen Antisemitismus und Hass, ehe er vor 80 Jahren genau im Dez. 1943 bei einem Luftangriff in Leipzig ums Leben kam… Im Juni 1922 protestierte Mierendorff an der Uni Heidelberg als junger Student gegen den antisemitischen Chef des Heidelberger Physikalischen Instituts, den Nobelpreisträger Philipp Lenard, der sich geweigert hatte, wegen der Ermordung Walther Rathenaus Trauerbeflaggung an seinem Institut zu zeigen und die Arbeit ruhen zu lassen… Er tat dies, indem er mit anderen das Institut dieses Judenhassers stürmte. Mierendorff wurde deswegen vom Landgericht Heidelberg wegen Landfriedensbruchs zu einer – freilich nicht verbüßten – Freiheitsstrafe verurteilt. In einem wegen des gleichen Vorfalls beim Disziplinargericht der Universität Heidelberg ebenfalls anhängig gemachten Verfahren wurde er jedoch freigesprochen….Und ich will erinnern ans Vermächtnis des Großherzoglichen Rabbiners der großen Liberalen Jüdischen Reformgemeinde hier in Darmstadt, Dr.  Julius Landsberger und seine Lessingsche Toleranz, von der ich schon sprach. Denn dieser Landsberger wurde 1870/71 gefragt, ob er, der Deutsche jüdischen Glaubens und Thora-Gelehrte, denn bereit sei, vor französischen Kriegsgefangenen, die in der Mehrheit Muslimische Kolonialsoldaten und -offiziere waren,   auf dem Griesheimer Sand auf Arabisch aus dem Koran zu predigen. Landsberger zögerte keine Sekunde – und predigte, tolerant und weltoffen wie er war, vor den muslimischen Kriegsgefangenen auf Arabisch aus dem Koran – im Beisein des Großherzogs.

Lassen Sie mich zum Schluss den Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer und Fritz Bauer zu Wort kommen:Der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer sagte einmal den treffenden Satz: „Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht. “ Und Fritz Bauer hinterließ uns dieses Zitat:„Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“LASSEN SIE UNS DAHER IN DIESEM SINNE DAFÜR SORGEN, DASS ANTISEMITISMUS, DASS JUDENHASS IN UNSERER STADT DARMSTADT, IN DEUTSCHLAND, IN EUROPA KEINE CHANCE HABEN: HEUTE NICHT UND IN ZUKUNFT NICHT. Ihnen allen, trotz alledem, ein frohes Chanukkafest!Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

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Über Leben und Wirken des Maschinenbau-Fabrikanten, ersten Gemeindevorstehers der Liberalen Jüdischen Gemeinde Darmstadts und Politikers (1824-1901)

ONLINE-Vortrag (via Zoom): NEU: Mittwoch, 8. Mai 2024 (08.05.) 2024, Einchecken 19.45 Uhr, 20.00 Uhr Beginn, Teilnahme kostenlos

Referent:Martin Frenzel (Historiker, Buchautor "Eine Zierde unserer Stadt") Voranmeldung aber erforderlich: martin.frenzel@liberale-synagoge-darmstadt.de / Link wird hernach verschickt

FLS-Rundgang Mai 2024 I: Jüdisches Darmstadt - Auf den Spuren der Liberalen Synagoge, des Johannesviertel-Gründers Heinrich Blumenthal und eines NS-Verbrechens

Termin: Sonntag, 12. Mai  2024 (200.Geburtstag Heinrich Blumenthals), 14.30 Uhr, Teilnahme kostenlos, Spende erbeten, Voranmeldung notwendig: martin.frenzel@liberale-synagoge-darmstadt.de,  Treffpunkt: Heinrich Blumenthal-Gedenktafel, Nordwestseite der Ev. Johanneskirche, Ecke Wilhelm Leuschner-Str. am Johannesplatz (von dort geht es via Justus-Liebig-Schule (in der NS-Zeit Sammellager der jüdischen Deportationsopfer) zu Fuß zur Liberale Synagoge-Gedenkstätte.

Voranmeldung erbeten: martin.frenzel@liberale-synagoge-darmstadt.de

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Termin: Sonntag, 26. Mai  2024 (200. Geburtstag Heinrich Blumenthals), 14.30 Uhr, Teilnahme kostenlos, Spende erbeten, Voranmeldung notwendig: martin.frenzel@liberale-synagoge-darmstadt.de,  Treffpunkt: Lortzsche Menora vor der Treppe zur Empore der Gedenkstätte, Klinikumsgelände, Zugang Bleichstr Höhe Gagernstr. oder via Julius-Landsberger-Platz

ZUKUNFT BRAUCHT ERINNERUNG: 12. Darmstädter Aktionswochen gegen Antisemitismus 2024:  Gegen jeden Antisemitismus! Stoppt den Terror der Hamas!

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Bürgerehrung 2014: OB Partsch, Martin Frenzel / Foto: Gabriele Claus (FLS)
Bürgerehrung 2014: OB Partsch, Martin Frenzel / Foto: Gabriele Claus (FLS)

Bürgerehrung 2014 für den FLS-Gründer & Vorsitzenden Martin Frenzel: Für jahrelanges, herausragendes Wirken in Sachen ehrenamtlicher Erinnerungsarbeit wurde Martin Frenzel am 30. April 2014 in der Orangerie mit der Ehrenurkunde für verdiente Bürger der Wissenschaftsstadt Darmstadt ausgezeichnet. Mehr unter Pressespiegel/Wir über uns. 

Der Förderverein Liberale Synagoge hat  zudem am 20.Mai 2014 den 2. Preis GESICHT ZEIGEN  für Zivilcourage und gegen Rassismus 2014 erhalten. Die Verleihung fand im Justus-Liebig-Haus durch die Wissenschaftsstadt Darmstadt statt. Der Preis wurde in Anerkennung des ehrenamtlich-erinnerungskulturellen Engagements für ein weltoffenes Darmstadt durch Oberbürgermeister Partsch vergeben.

OB Partsch überreicht den GESICHT ZEIGEN!-Preis an FLS-Vorsitzender Martin Frenzel Foto: Gabriele Claus
OB Partsch überreicht den GESICHT ZEIGEN!-Preis an FLS-Vorsitzender Martin Frenzel Foto: Gabriele Claus

Der FÖRDERVEREIN LIBERALE SYNAGOGE DARMSTADT e.V. hat "für sein besonderes

Engagement" in Sachen aktiver Erinnerungskultur den Ludwig-Metzger-
Anerkennungs-preis 2013 erhalten.

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